Doping fürs Gehirn –
Verlockende „Smart Pills“ und andere performance booster

Stellen Sie sich vor: jemand aus dem Kollegen-/ Freundeskreis erzählt in einem vertraulichen Gespräch von diesem faszinierenden Mittelchen, welches er oder sie seit ein paar Wochen nimmt und sich seitdem top-fit fühlt. Abends mal länger an der Arbeit sitzen ohne müde zu werden, in kürzester Zeit guten Output liefern und sich trotz der steigenden Anforderung nicht gestresst fühlen. Es klingt nach unerschöpflicher Energie und Erfolg! Dabei sei das alles total unbedenklich –  quasi ein Mittel auf natürlicher Basis, ohne Nebenwirkungen. Und sowieso sei es ja nur vorübergehend, bis dieses große Projekt über die Bühne gebracht ist. Würden Sie das nicht auch gerne ausprobieren? Klingt das nicht nach genau dem richtigen Mittel, um mit diesem ständigen Stress, diesem ständigen Gehetztsein zurecht zu kommen? Zumindest für die Zeit bis zum nächsten Urlaub wäre das doch vertretbar…

Die eigene Leistungsfähigkeit zu optimieren, sich besser gegen Stress „wappnen“ zu können und die Erschöpfungssymptome auszuschalten sind keine ungewöhnlichen Anliegen, und auch nicht neu. Neu sind hingegen die Substanzen und kursierende Erwartungen. Grund genug einen prüfenden Blick auf das Thema zu werfen, bevor wir der Versuchung nachgeben!

Die grosse Versuchung

„Neuro Enhancer“, „Nootropics“ oder einfach „Smart Drugs“ sind nur ein paar der aktuellen Bezeichnungen. Sie sollen kreativer, fokussierter oder stressresistenter machen. Auch ein positiver Effekt bei Unsicherheit, Nervosität oder Schüchternheit wird versprochen. Alles Eigenschaften, die im täglichen Performance-Wahnsinn willkommen sind.

Cognitive enhancement oder Neuro Enhancement, in manchen Kreisen längst kein unbekannter Begriff mehr, beschreibt die Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit oder psychischen Befindlichkeit bei Gesunden mit Hilfe von oft verschreibungspflichtigen Medikamenten.

Die Gründe für den Konsum können unterschiedlich sein. Allen ist gemein, dass es um die Verbesserung des „Selbst“ geht. Oder anders ausgedrückt: Hinter den Motiven steckt der Glaubenssatz, nicht gut genug zu sein, so wie man ist. In einem DAK Gesundheitsreport (2009) gaben 28% der befragten Frauen und gut 25% der befragten Männer an, dass es für sie persönlich vertretbar sei, ohne medizinische Indikation Medikamente zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit zu nehmen.

Kaffee oder LSD?

Koffein

Koffein, aufgenommen durch Getränke, verteilt sich innerhalb von fünf Minuten im gesamten Körper und wird sehr langsam in 5 bis 6 Stunden abgebaut. So lange etwa hält auch die Wirkung an. Koffein wirkt anregend und beeinflusst das Nervensystem, das Herz- und Kreislaufsystem, Magen und Nieren sowie die Muskeln.

Der Koffeingehalt variiert je nach Getränk: Espresso ca. 50-60mg, Tasse Filterkaffee ca. 60-100mg, 300ml Cola ca. 30 mg. Zum Vergleich: Das einzige in Deutschland zugelassene koffeinhaltige Arzneimittel enthält 200 mg Koffein pro Tablette, die Tageshöchstdosis beträgt 400 mg.  Wer regelmäßig etwa 350 mg Koffein (fünf Tassen Kaffee pro Tag) konsumiert, entwickelt eine milde körperliche Abhängigkeit. Bei Entzug reagiert man mit Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen und Reizbarkeit.

Psychostimmulanzien, Antidepressiva, Antidementiva

Diese pharmakologischen Stoffe, wirken gezielt auf die Psyche des Menschen ein und werden zu therapeutischen Zwecken eingesetzt.

Es gibt eine Reihe an möglichen Nebenwirkungen, wie Magenbeschwerden, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Appetitlosigkeit, und dosisabhängig auch innere Anspannung und Schlafprobleme.

Ritalin, Methylphenidat, Dexamfetamin, Amphetamine

Dies sind Medikamente, die eigentlich zur Behandlung von ADHS oder Narkolepsie eingesetzt werden. Sie sollen auf die Wachheit und Konzentration wirken.

Es gibt eine Reihe an häufigen Nebenwirkungen: Überempfindlichkeitsreaktionen, Magen-Darm-Beschwerden, Appetitminderung, Kopfschmerzen, Schwindel, innere Unruhe, Schlafstörungen, Nervosität und Bluthochdruck.

Mikrodosierung LSD

Eine Mikrodosierung von LSD wird von Befürwortern als Mittel zur Steigerung der Produktivität und Kreativität angesehen. Die Dosis ist zu gering, um eine psychedelische Wirkung zu erzeugen. Das ist beim „Microdosing“ auch nicht der gewünschte Zustand, sondern es geht um das Gefühl von mehr Energie, besserer Fokussierung und Kreativität.

Seinen Ursprung nahm diese Art des Substanzkonsums wohl im Silicon Valley, wo es für manch einen einfach nur eine Alternative zur Tasse Kaffee darzustellen scheint. Die Studienlage zur Erforschung der LSD-Mikrodosierung ist noch sehr dünn. Bisherige Studien weisen darauf hin, dass es sich bei den beschriebenen positiven Erfahrungen um einen Placebo-Effekt handelt.

Klar ist hingegen die Gefahr, die mit dem Konsum von LSD in höheren Dosen zusammenhängt. Die Substanz ist daher seit 1971 weltweit verboten, aufgrund der schwerwiegenden Nebenwirkungen.

ZU RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN – BESTEHT SUCHTGEFAHR?

Für alle der klassischen Neuro Enhancer kann die Studienlage zum Einsatz bei Gesunden hinsichtlich Wirkungen, Nebenwirkungen und Langzeiteffekten als sehr dürftig beschrieben werden.

Insgesamt betrachtet scheint die Wirkung auf die Leistungsfähigkeit weit überschätzt! Zum einen, weil als Nebenwirkung oftmals die Umkehr des gewünschten Effekts, zum Beispiel Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Unkonzentriertheit, auftritt. Zum anderen, weil die Effekte laut Studien nur dann bemerkbar sind, wenn ein Leistungsdefizit besteht, weil der Mensch geschwächt oder müde ist. Ausreichend Schlaf hätte also denselben Effekt. Auch im direkten Vergleich mit Koffeinkonsum zeigt sich, dass sich die Wirkung kaum unterscheidet. Vier bis fünf Tassen Kaffee könnte also denselben Effekt erzielen – wahrscheinlich mit weniger Nebenwirkungen.

Hinzu kommt, dass in manchen Studien die Effekte nur über Befragung der Konsumenten ermittelt wurde. Wenn nun eine Person antwortet, die Substanz hätte den gewünschten Effekt gezeigt, dann weiß man nicht, ob dies tatsächlich auf die Substanz zurückzuführen ist, oder weil die Person daran glaubt.

„Das gesunde, ausgeschlafene Gehirn besitzt bereits das Optimum an Leistungsfähigkeit. Ein bereits waches Gehirn lässt von daher kaum eine Steigerung an Wachheit zu. Zur Optimierung der Gehirnfunktionen: Besser als optimal geht nicht! Das universelle Prinzip verschiedener Hirnfunktionen und Neurotransmittersysteme wird als inverse U- Funktion beschrieben. Nach diesem Prinzip ist eine Verbesserung nur möglich, solange noch nicht der optimale Grad an Wachheit erreicht oder überschritten wurde.“

Angelika Nette/Referentin/Hamburgische Landesstelle für Suchtfragen e.V.

Trotz der fraglichen Wirkung stellt sich die Frage nach dem Suchtpotential des Neuro Enhancements. Wie bereits erwähnt, lässt die Studienlage keine umfassende Bewertung dieser Substanzen zu. Bei Amphetaminen besteht definitiv ein Suchtpotential. Generell ist zu betonen, dass Veränderungen und Anpassungen des Hirnstoffwechsels in der Regel sehr schnell eine Regelmäßigkeit der Einnahme und eine Dosissteigerung erfordern. Selbst wenn keine körperliche Abhängigkeit auftritt, muss mit einer psychischen Abhängigkeit gerechnet werden. Wer sich mit der Einnahme einer „Smart Pill“ zu mehr Energie, besserer Leistung und damit auch zu Anerkennung und positiver Stimmung verhilft – egal ob durch tatsächliche Wirkung oder Placebo-Effekt – dem wird es schwerfallen, das Arbeitspensum und die Anforderungen fortan ohne diese Beflügelung anzugehen.

Nicht viel anders verhält es sich mit dem morgendlichen Kaffee, ohne den die meisten nicht in den Tag starten können oder wollen, könnten man nun argumentieren. Mit Blick auf Liste der Nebenwirkungen ist hier jedoch die Vergleichbarkeit schnell entkräftet.

Hinzukommt, dass nicht selten parallel Alkohol und/oder Beruhigungsmittel eingesetzt werden. Schließlich möchte man nachts dann doch irgendwann zur Ruhe zu kommen, um zumindest ein paar Stunden schlafen zu können. Langfristig kann daraus eine kombinierte Abhängigkeit von leistungssteigernden Substanzen sowie Alkohol, Schmerz- oder Beruhigungsmitteln resultieren.

Die eigentliche Gefahr

Lassen Sie uns bei der Auseinandersetzung mit Wirkungen und Nebenwirkungen nicht vergessen, welche indirekten – und meistens unbewusste – Konsequenzen man mit der unnatürlichen Optimierung der eigenen Leistungsfähigkeit in Kauf nimmt. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass Neuro Enhancer auch einen erheblichen Einfluss auf Emotionen und Stimmungen haben und damit auch all unsere zwischenmenschlichen Begegnungen beeinflussen, so dass bei einer dauerhaften Einnahme vor allem soziale Kontakte und zwischenmenschliche Beziehungen häufig vernachlässigt werden. Betroffene berichten, dass die gesteigerte Leistungsfähigkeit und Fokussierung auf die jeweilige Aufgabe dazu führen, dass alles andere als zweitrangig betrachtet wird – Gefühle, Stimmungen, Lustgefühl und soziale Kontakte.

Gut möglich also, dass Sie Ihr erschöpfungsbedingtes Leistungstief mit ein paar Pillen ausgleichen, um die aktuelle Projektdichte zu bewerkstelligen, dabei aber keinen Blick mehr für die Familie haben und auch kein nettes Wort mehr für die Kolleg*innen. Vielleicht stellen Sie sogar die gleichen Leistungsansprüche an die Teammitglieder und verwickeln sich in einen Konkurrenzkampf.

Bei jedem Neuro Enhancement besteht die Gefahr, dass die Grenzen der psychischen und körperlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr erkannt werden. Lauert dann nicht die Burnout-Falle, sobald auf die Aufputschmittel verzichtet wird? Wenn Schlaf, Erholung und soziale Kontakte vernachlässigt werden, liegt vielleicht genau darin die Ursache für das entstandene Leistungsdefizit. Sehen Sie den Teufelskreis?

Wollen Sie Mitbegründer*in einer Gesellschaft sein, die einen steigenden Arbeitsdruck toleriert, der es erforderlich macht, natürliche Erholungsprozesse zu minimieren und stattdessen mit Pillen die Leistungsfähigkeit auf hohem Level zu halten?

Eine Frage der Moral

Spricht nun aus ethisch-moralischen Gründen etwas dagegen, dass bestimmte kognitive, motivationale und emotionale Fähigkeiten künstlich verbessert werden? Oder ist es im Grunde auch nichts anderes, als mit einem künstlichen Hüftgelenk oder Stent durch das Leben zu gehen? Diese Frage muss wohl jeder für sich selbst beantworten. Dabei sollten Sie aber auch folgende Fragen berücksichtigen: Halten das mein Körper und meine Psyche (langfristig) aus? Welche Konsequenzen bezüglich meines sozialen Umfelds bin ich bereit in Kauf zu nehmen? Was ist mein Beitrag zur Entwicklung der Arbeitswelt, wenn ich mit den unverhältnismäßig steigenden Anforderungen künstlich „mitwachse“?

Was wäre, wenn wir mit ausreichend Schlaf, gesunder Ernährung und Bewegung, guten sozialen Kontakten und Psychohygiene unsere optimale Leistungsfähigkeit erhalten? Was wäre, wenn wir dabei die eigenen Grenzen akzeptieren, Schwächen eingestehen und damit die eigentliche Stärke und den Mut beweisen, unverhältnismäßige Leistungsanforderungen abzulehnen? Was wäre, wenn wir darin die eigentliche Erfüllung oder zumindest Zufriedenheit erleben würden, anstatt in Erfolg, Ruhm und der Erreichung immer höherer Ziele?

WICHTIGER HINWEIS:

Wer von einer psychischen Erkrankung betroffen ist (Depression, Angststörung, etc.), kann von der Einnahme von Antidepressiva – wenn ärztlich abgestimmt und begleitetet – profitieren! Für psychisches Leiden sind diese Präparate entwickelt. Wer jedoch Müdigkeit, schlechte Stimmung, entstanden durch Überarbeitung und fehlender Regeneration, mit den Medikamenten überspielen will, begeht nicht nur illegalen Medikamenten-Missbrauch, sondern missbraucht auch sich selbst – zu Gunsten des Erfolgs.

Wenn Sie sich über mehrere Wochen ausgebrannt, erschöpft, einsam oder schlicht „fix und fertig“ fühlen, kann ein Gespräch mit einer/einem Therapeut*in die entscheidende Hilfestellung sein. Als erste Anlaufstelle kann auch der/die Hausarzt*in kontaktiert werden.